Feiertag
Dieser Beitrag ist auch auf den Seiten von BORA hansgrohe erschienen
Details machen den Unterschied:
BORA-hansgrohe bei der Tour de France 2019
Mit spitzen Fingern knibbelt der Würdenträger den kleinen Aufkleber mit der 11 ab, der auf Peter Sagans Nummer hinter der Sattelstütze klebt. Die Amaury Sport Organisation (ASO), der Veranstalter der Tour de France, hat den Knibbler mit einem speziellen Ausweis ausgestattet, der ihn zu dieser besonderen Aufgabe ermächtigt: Am Morgen nach dem Etappensieg bekommt der Erstplatzierte von ihm eine kleine Plakette mit der Anzahl seiner Tour-Gesamtsiege auf die Nummer geklebt. Bei Sagan wird nach seinem Sprinterfolg in Colmar so aus der 11 eine 12.


Welch wundervolles, nutzloses Detail. Oder die drei Jungs, die den Fahrern beim Verlassen des geschotterten Paddocks die Reifen abwischen. Hat was von einer heiligen Fußwaschung. Ich bekomme ja immer spontan Bluthochdruck, wenn ich mit meinem Rad über Schotter muss. Die Berufsradler nehmen das aber gelassen, stoppen kurz an der Ausfahrt und lassen sich die Reifen putzen. Die meisten sagen sogar artig danke oder nicken den Wischern kurz zu. Und dann ist da noch der Helfer am Eingang zum Paddock, der auf einer kleinen Filz-Tafel die Standorte der Teams im abgesperrten Bereich markiert. Er hat offenbar selber ein wenig den Überblick verloren, verrichtet seine Aufgabe aber mit einer Ernsthaftigkeit, als würde das Leben seiner Femme und seiner troi Filles davon abhängen. Ungezählte kleine und große Details zeugen davon, wie die ASO das System „Tour de France“ über viele Jahre perfektioniert hat.

Einer, der in dieser Welt der ausgeklügelten Details zuhause ist, ist Ralph Denk. Er ist Geschäftsführer der Denk Pro Cycling GmbH und Co. KG und damit Eigentümer des Rennstalls BORA-hansgrohe. Wenn man sich mit ihm über die Entwicklung seines Unternehmens unterhält, wird schnell klar, wie wichtig ihm jedes einzelne Detail ist. Mittlerweile ist sein Team aber zu groß, als dass er sich um alles selbst kümmern könnte. Denn Denk hat sich in den letzten Jahren mit äußerst professionellen Arbeitern umgeben. Sein größter und vermutlich teuerster Schachzug war die Verpflichtung von Peter Sagan, dem derzeit wohl talentiertesten Selbstdarsteller und mindestens ebenso talentiertem Allround-Sprinter des Pelotons. Sagan hat maßgeblich zur Bekanntheit von BORA-hansgrohe weit über Deutschlands Grenzen hinaus beigetragen, was letztlich auch zu einer stabilen Beziehung mit den Sponsoren geführt haben dürfte.


Ein wenig Glück ist natürlich auch im Spiel: Die in den letzten Jahren veränderte Streckenführung der Tour mit weniger Flachetappen kommt BORA-hansgrohe durchaus entgegen. Auch wenn ich ehrfurchtsvoll auf Sagans Oberschenkelumfang blicke: Er ist eben kein Sprinter, der am ersten Hügel aufgrund seiner schieren Muskelmasse rund um seine ossis femoris Opfer der Hangabtriebskraft werden würde.

Mit Unterstützung von Routinier Marcus Burghardt und den anderen sechs Fahrern kommt er gut über längere Anstiege und hat anschließend trotzdem noch ausreichend Körner für einen granatenstarken Sprint. Dabei setzt Denk nicht nur auf das grüne Trikot. Mit Emanuel Buchmann hat er noch einen Podiumskandidaten im Ärmel. Das 26-jährige Fliegengewicht aus Ravensburg bildet in fast jeder Hinsicht den Gegenpol zu Sagan: schwach im Sprint, stark im Klettern – und trotz seiner überragenden Leistung fast schon wohltuend introvertiert.


Was für die Fahrer gilt, gilt ebenso für die Mannschaft dahinter: Denk hat sich ein Team von sportlichen Leitern, Mechanikern, Physiotherapeuten, Ernährungsspezialisten, Köchen, Marketing- und PR-Experten aufgebaut, dem er blind vertrauen kann. Zumindest macht das den Eindruck, wenn man ihn am Ort des Geschehens besucht.
Wie es dazu kam

Mulhouse, im Juli 2019. Denk hat mich eingeladen, einen Tag mit BORA-hansgrohe bei der Tour zu verbringen. Und das gar nicht, weil er meinen Blog gelesen und vor lauter Begeisterung Eurosport und ARD aus- und mich eingeladen hätte. Bis zur Freigabe dieses Textes wusste er vermutlich nicht einmal von der Existenz meines Mini-Blogs. Nein, es war ganz anders: Im echten Leben kümmere ich mich in München um Veranstaltungen für die Kunden meines Arbeitgebers, einem IT-Dienstleister. Über verschlungene Pfade bin ich an Denks Telefonnummer geraten und konnte ihn mit ein wenig Mühe zu einem Business Breakfast im Februar 2019 überreden. Daraus wurde eines der besten Kunden-Events überhaupt. Und das nicht, weil der Kaffee so schön schwarz oder die Schnittchen so dick belegt gewesen wären: Denk passt mit seiner oberbayrisch-rauen Attitüde, seiner undogmatischen Unternehmer-Denke und seiner Unverfälschtheit prima zur Firma. Und weil ich ja gelegentlich auch mal gerne aufs Rad steige, hat er mich zu einem Besuch bei der Tour eingeladen.

Und jetzt stehe ich hier auf einem Hotelparkplatz in einem Industriegebiet in Colmar zwischen den ganzen Details, die einen erfolgreichen Rennstall eben so ausmachen. Es ist der Abend des Sprintsiegs von Peter Sagan, den wir auf dem Weg zum Fahrerhotel live im Auto verfolgen können. Leider nur im TV, dennoch ein toller Moment. Der Team-Koch Christian Willrich wird ihm später zur Belohnung ein, naja, saftiges Steak braten. Hauchdünn und nicht besonders groß, aber immerhin.
rollende Werkstatt, Teambus – und ein Küchenlaster

Der Kitchen Truck, in dem Koch Willrich arbeitet, ist ein Detail, auf das Denk besonders stolz ist. Schon allein wegen seiner Größe geht das Fahrzeug dann aber doch nicht mehr ernsthaft als Detail durch. Die 12 Meter Länge teilen sich auf in eine Küche und einen rustikalen Essbereich, in dem die Fahrer jede Mahlzeit gemeinsam einnehmen. Der Truck war neben dem Teambus eine der größeren Investitionen und bringt gleich etliche Vorteile mit sich: Die Essenszeiten sind unabhängig vom Hotel, die Ernährung ist exakt auf die Bedürfnisse jedes einzelnen Fahrers abgestimmt, niemand muss Sorge vor Keimen haben und vor allem: Gemeinsame Mahlzeiten stärken die Bande. Was bei mir zuhause funktioniert, scheint auch bei Familie Bora zu klappen. Band of Brothers.

Wir Gäste bekommen einen kleinen Happen im Kitchen Truck serviert, bevor die Fahrer vom Rennen zurück sind. Ehrlich gesagt ist es nur ein Häppchen, das hoffentlich auch gar nicht zum Sattwerden gedacht ist. Es gleicht eher einem minimalistischen Streifzug durch die Haute Cuisin des Radsports: Leicht marinierte Rohkost, Ziegenkäse, ein wenig Schinken, Vollkornbrot und Obst. Sehr lecker, sehr leicht, sehr mager, sehr wenig. Kein Wunder, dass ein paar von den Jungs einen leicht anorektischen Eindruck machen. Die beiden Köche Udo Keil und Christian Willrich versichern aber glaubhaft, dass immer alle satt werden.
Mindestens ebenso erregend wie der niedliche Appetitanreger ist das Gefühl, in einem Heiligtum des Denkschen Universums zu dinieren. Nur wenige Mannschaften haben überhaupt einen Kitchen Truck. Wenn man hier sitzt versteht man, warum das Fahrzeug ein wichtiges Detail auf dem Weg nach oben war.

Noch heiliger als die Küche ist nur der Teambus, in dem die Fahrer morgens zum Rennen und abends zum Hotel fahren. Vor dem Betreten müssen wir uns die Hände desinfizieren. Die Angst vor Keimen, Bakterien und Viren ist allgegenwärtig, denn die Abwehrkräfte dürften sich während der drei Wochen bei den meisten Fahrern reziprok zur Erschöpfung entwickeln.
Innen sieht es so aus, wie ich mir die First Class von Lufthansa vorstelle: Freistehende Ledersitze, gefliestes WC, Dusche, riesiger Bildschirm. Ein Palast auf drei Achsen. Bis heute hielt ich unser sieben Meter langes Familien-Wohnmobil für großzügig bemessen. Wie man sich doch irren kann.


Heilig ist der Teambus auch, weil dort persönliche Gegenstände der Fahrer liegen. Aus einer Sitztasche baumeln Kopfhörer, auf der Couch im Heck liegt Sagans Zauberwürfel neben seinen Radschuhen. Unscheinbare Zeugnisse des Alltages im Leben von Radprofis. Sofern man einen Tour-Tag als Alltag bezeichnen kann.
Im vorderen Teil des Busses halten die Fahrer vor der Etappe mit den sportlichen Leitern ihre Teambesprechungen ab. Da geht es in erster Linie um Streckenführung, Sprints und Bergwertungen. Das Destilat der morgendlichen Vorbesprechung klebt anschließend bei jedem Fahrer auf dem Vorbau: Eine Übersicht, wo auf der Strecke was ansteht.

Sehr hilfreich, denn ich bringe bei meinen Rennen ja sogar die Farben der Rückennummern durcheinander oder verliere sonst auch mal gerne die Orientierung. Mit so einem kleinen Zettel unter einem dicken Tesa-Streifen wäre mir das vielleicht nicht passiert.
Nach dem Rennen wird dann gemeinsam analysiert, was gut und was weniger gut geklappt hat. Ich wäre gerne mal dabei gewesen, aber irgendwie konnte ich keinen sportlichen Leiter davon überzeugen, dass meine Teilnahme hilfreich wäre. Komisch.

Gleich nach dem Rennen schlägt die Stunde der Mechaniker. Jedes Rad wird gereinigt, durchgecheckt und für den nächsten Tag vorbereitet. Sagan bekommt für die schwere Etappe von Mulhouse auf die Planche des belles Filles ein kleineres Blatt montiert. Das alles geht so schnell, dass ich der Sache kaum folgen kann. Der Trick scheint darin zu bestehen, das gebrauchte Werkzeug immer direkt an seinen Platz zurückzulegen. In meinem Keller zuhause ist das anders. Den Torx, den ich gerade brauche, muss ich nämlich immer erst suchen. Immer. Und finde ihn dann irgendwo, wo ich ihn wirklich unter keinen Umständen vermutet hätte und wo er auch wirklich nicht hingehört.





Zum Tross von BORA-hansgrohe gehört noch ein ganz besonderes Fahrzeug: Sagans rollender Reisekoffer. Weil sich die Fluggesellschaften beim Transport der vielen Sachprämien und der großen Pokale immer so unkooperativ gezeigt haben, lässt Sagan seit einiger Zeit ein eigenes Wohnmobil mitrollen. Ein zusätzliches Team kümmert sich um das Fahrzeug und seinen wertvollen Inhalt. Übernachten darf Sagan in seinem rollenden Koffer nicht, das verbieten die Statuten der ASO. Aber seine Devotionalien kommen garantiert unversehrt in der Slowakei an.

Die Etappe

Wer im Paddock nach BORA-hansgrohe sucht, muss nur den Beats folgen: Unter der Markise des Teambusses kann es schon mal richtig laut werden. Die BORA-hansgrohe Playlist auf Spotify startet stilsicher mit der Star Wars Hymne. Und für Leser mit Vorliebe für Details: Scooter ist mit „Bora! Bora! Bora!“ natürlich auch dabei.

BORA-hansgrohe will anders sein als die anderen. Manchmal kommt mir das ein wenig zu bemüht vor. Vor dem Bus werde ich den Eindruck nicht los, dass die Musik den meisten Fahrern eher auf die Nerven geht. Ganz offensichtlich ist das bei Emanuel Buchmann so, der aber eh um jedes Getöse lieber einen großen Bogen macht. Maximilian Schachmann hat beim Warmfahren unter der Markise lieber die eigene Musik im Ohr.
Was bei der Beschallung ein wenig erzwungen wirkt, klappt sonst aber ziemlich gut. Die Differenzierung ist ein wichtiges Element, das Denk anfänglich sicher ganz bewust eingesetzt hat, um den Rennstall nach innen zusammenzuschweißen. Mittlerweile hat sich der Wille zum Anderssein in die DNA des gesamten Teams eingebrannt. Band of Brothers. Auch wenn Denk einige Frauen beschäftigt, was im professionellen Radsport längst nicht die Regel ist.

Da war doch noch was? Richtig, die Etappe von Mulhouse auf die Planche des belles Filles. Wir Gäste werden von Sponsorship Manager Thomas Hörl und Hospitality Manager Michael Kolár zu ein paar besonderen Stellen auf der Strecke gefahren. Hörl würde sicher sofort den Job als Safety Car Driver bei der Formel 1 übernehmen können: Ich sehe uns mit dem Ford Transit mehrfach im Graben, aber er fährt uns rasend-schnell und äußerst souverän von einem Ziel zum nächsten. Die StVO ist halt doch nur was für Pussies wie mich.

Unser Transit in BORA-hansgrohe-Lackierung ist mit einer speziellen Erlaubnis ausgestattet, mit der wir auf der abgesperrten Strecke fahren dürfen. Die seit Stunden wartenden Zuschauer sind für jede Abwechslung dankbar, und das Auto sorgt für Aufsehen. Wobei ich mir nicht sicher bin, ob es Hörls Ralleyfahrt oder wirklich nur das Auto ist. Egal. Ein schönes Gefühl, das auch Hörl und Kolár sichtlich genießen.
Kurz vor Sewen finden wir dann endlich eine frei Stelle, in die Hörl den Transit noch zwängen kann. Und dann heißt es:
Warten.
Warten.
Warten.
Und zwischendurch glücklicherweise was essen, denn Hörl und Kolár haben vorher artig eingekauft. Brotzeit auf französisch. Unglaublich, wie gut das hier an der Strecke schmeckt. Und dann wieder:
Warten.
Warten.

Irgendwann höre ich ich endlich die Hubschrauber, die das Feld den ganzen Tag begleiten. Ich zähle unfassbare fünf davon. Ob da was schief gegangen ist? Es folgen aber zahllose Motorradfahrer der Gendamerie, die mit eiserner Miene hinter verspiegelten Brillen den Anstieg hochrasen. Dann endlich einige rote Autos. Erst welche ohne wichtige Männer drin, dann eins mit wichtigen Männern drin, von denen einer noch viel wichtiger aus dem geöffneten Schiebedach nach hinten schaut. Kurz dahinter, endlich, das Feld! Es rauscht in unfassbarer Geschwindigkeit den Berg hinauf, und in knapp 30 Sekunden ist alles vorbei.
Es ist kaum möglich, einzelne Fahrer wahrzunehmen. Aber auf diese 30 Sekunden haben sie hier alle gewartet, den ganzen Tag lang und einige sogar schon die Nacht davor! Haben die Werbekarawane ertragen, dann die unzähligen Autos, die beständig den Berg hochrasen. Die Aufmerksamkeitsschwelle sinkt mit jeder Minute, die sie sich hier die Beine in den Bauch stehen. Man wird dankbar für jede Ablenkung und bejubelt dann sogar einen schnöden Ford Transit von BORA-hansgrohe.

Julian Alaphilippe wird an diesem Tag sein gelbes Trikot verlieren. Die ASO ist da sehr konsequent: Als er zum Teambus zurückkehrt, trägt er schon wieder das Blau von Deceuninck-Quick-Step. Der Arme musste sich den gelben Fummel direkt am Ziel ausziehen.
Emanuel Buchmann hat sich auf dieser Etappe weit nach vorne gekämpft und liegt jetzt mit knapp zwei Minuten Rückstand auf dem fünften Platz. Ein grandioses Ergebnis, und Buchmann muss jetzt das tun, von dem es immer heißt, dass er es gar nicht gerne tut: Interviews geben. Auch wenn ich nicht den Eindruck hatte, dass er den Moment genießen würde, war er verständlicherweise um Welten gesprächiger als noch am Morgen. Und das Interesse war groß.

Was bleibt?
Was bleibt ist der Eindruck, dass bei BORA-hansgrohe -wie wohl auch bei den meisten anderen Rennställen der Tour- ein echtes-echtes-echtes Team am Werk ist. Und das mit großer Leidenschaft und Respekt für jeden und jede im Team.
Sowas sagt sich ja immer so leicht. In meinem echten Leben in der Softwareentwicklung legen wir ja auch sehr viel Wert auf Teamfähigkeit. Jeder halbwegs belesene Bewerber weist sich meist schon im Anschreiben als absolute Teamgranate aus. Ob es stimmt, wissen wir beim ersten Projekt.
Das hier aber hat ein vollkommen anderes Niveau. Um es mit Peter Schillings Major Tom zu sagen: Jeder hier weiß genau, was von ihm abhängt. Und: Jeder hier geht erst ins Bett, wenn er seinen Job wirklich erledigt hat. Mission accomplished, jeden Abend wieder. Drei Wochen können sehr lang werden, jeder gibt hier alles. Das gilt nicht nur für die Fahrer, sondern für jede und jeden im Team. Alle Rädchen greifen ineinander, und Ralph Denk hat die vielen kleinen, mittleren und sehr großen Zahnräder irgendwann mal an ihre optimale Position gebracht.
Heute läuft sein Uhrwerk auch dann ziemlich gut, wenn er nicht vor Ort ist.
Am wohlsten fühlt er sich aber, wenn er bei seinen Leuten auf der Straße ist.
Alle Fotos aus diesem Beitrag: